9. Juli 2024

Work-Life Balance ist Bullshit

Als Geschäftsführer spreche ich mit allen Bewerber:innen im Einstellungsprozess. Sie fragen mich gerne mal nach „Work-Life-Balance“. Meist antworte ich mit dem Satz „Das gibt’s hier nicht.“ Die Irritation löse ich natürlich auf. Ich halte das Konzept für ausgemachten Schwachsinn.

Warum das Konzept Work-Life-Balance Unsinn ist

Die meisten sehen bei Work-Life-Balance eine Waage vor sich: Auf der einen Seite Arbeit, auf der andere das Leben. Das Konzept suggeriert, dass Arbeit und Leben zwei gegensätzliche Kräfte sind, die ausbalanciert werden müssen. Gegensätze. Dies impliziert, dass Arbeit per se schlecht und der Rest des Lebens gut ist – ein Gedanke, der offensichtlich Quatsch ist. Arbeit ist nicht „böse“ und Leben nicht „gut“. Arbeit ist ein integraler Bestandteil unseres Lebens. Sie muss daher als Teil des Lebens und nicht als Gegensatz begriffen werden. Deshalb strebe ich nicht nach Work-Life-Balance. Weder für mich, noch meine Kolleg:innen.

Ein alternatives Modell: Das Leben auf Säulen

Statt Arbeit und Leben als Gegensätze zu sehen, ziehe ich ein Modell vor, in dem unser Leben auf mehreren Säulen ruht. Es gibt viele Modelle, mal mit vier Säulen, mal mit fünf, mal mit sechs und sicher noch viele mehr. Mir gefällt „mein“ Modell ganz gut.

  1. Familie: Mit ihr beginnen wir unser Leben und bleiben ein Leben lang verbunden. Die Beziehungen zu unseren Angehörigen, die uns Halt und Unterstützung geben.  Umgekehrt gibt man – insbesondere, wenn man Kinder hat – Sicherheit und Stabilität.
  2. Partnerschaft: Im Idealfall eine Beziehung, in der man so sein kann, wie man ist, in der man sich wohl fühlt und in der man gemeinsam wächst.
  3. Zeit für mich: Die meisten Menschen brauchen mal mehr, mal weniger Zeit für sich. Aktivitäten wie Freunde treffen, Hobbys und ehrenamtliche Tätigkeiten.
  4. Gesundheit: Bin ich körperlich oder emotional nicht gesund, wird mein Leben instabil.
  5. Arbeit: Tja. Diese Arbeit. Vielleicht hat man das Glück und findet eine Aufgabe, die Spaß macht und gleichzeitig den Lebensstandard ermöglicht, den man selbst anstrebt.

Wenn das Leben ins Wanken gerät

Wenn eine der Säulen ins Wanken gerät und Risse bekommt, wird sich jeder darum kümmern wollen. Wenn eine Säule sogar zusammenbricht, hat das gravierende Auswirkungen auf das Gleichgewicht meines Lebens. Es liegt auf der Hand, dass die Auswirkungen von Rissen oder gar Einstürzen von Familie, Partnerschaft, Zeit für mich und Gesundheit gravierend sind und ein Heilen der Risse oder gar Wiederaufbau viel Kraft und Zeit kostet und meist mit Verletzungen einhergeht. Die zu Grunde liegenden Probleme für die Risse in der Regel vielschichtig, komplex und es sind viele Emotionen mit mir zum Teil ein Leben lang verbundenen Menschen im Spiel.

Die Rolle der Arbeit in diesem Modell

Welche Säule auch immer ins Wanken gerät, sie kann das ganze Leben destabilisieren.

Interessanterweise ist die Säule „Arbeit“ oft diejenige, die am leichtesten zu reparieren ist und sich selbst doch am Wichtigsten nimmt oder genommen wird. Viele Menschen haben die Möglichkeit, ihren Job zu wechseln, wenn sie unzufrieden sind. Dies gilt natürlich nicht für alle – manche sind aufgrund wirtschaftlicher Zwänge oder fehlender Alternativen weniger flexibel.

Aber oft ist es eben relativ einfach möglich, den Job zu wechseln.

Daher muss es Ziel sein, dass die Säule Arbeit das Leben stützt und sich nicht so wichtig nimmt

Die Säule Arbeit wirkt sich natürlich auch auf die anderen Säulen aus. Der Faktor Zeit spielt eine große Rolle, aber auch Auswirkungen auf körperliche und emotionale Gesundheit.

Daher muss es Ziel sein, dass die Auswirkungen sich so gut wie möglich mit den anderen Säulen vertragen.

Meine Aufgabe

Als Geschäftsführer habe ich also das Ziel mitzuhelfen, die Säule Arbeit für alle meine Kolleg:innen zur Stütze zu machen. Ich möchte allen den möglichst besten Arbeitsplatz zu schaffen. Da die Ansprüche an den „besten Arbeitsplatz“ sehr individuell sind und wir natürlich auch gewissen Zwängen unterliegen, wird das nie ganz gelingen. Aber ich will es zumindest so gut wie möglich versuchen und wenn es nicht gelingt, die Gründe erklären können.

Dabei geht es einerseits darum, dass die Säule Arbeit flexibel bleibt und gleichzeitig negative Auswirkungen der Säule Arbeit auf die anderen Säulen minimiert werden.

Ich kann das natürlich nicht alleine. Jede:r muss dazu beitragen. Umgekehrt wäre es komisch, wenn nicht von meiner Rolle das ein oder andere abhängen würde 😊

Fun, fun, fun

Die Säule Arbeit sollte erstmal Spaß machen. Der Gedanke, so viel Zeit meines Lebens mich mit Dingen zu beschäftigen, die mir keine Freude bereiten, bedrückt mich.

Zum Glück sind wir in einer Branche tätig, die vielen Menschen Spaß macht: Cyber Security ist spannend, abwechslungsreich und kann erfüllend sein. Als Berater:innen unterstützen wir unsere Kund:innen in unseren Projekten und werden Teil ihrer Erfolgsgeschichte. Es ist ein gutes Gefühl, wenn man gemeinsam ein Projekt erfolgreich abschließt und den Kund:innen geholfen hat.

Wenn der Job keinen Spaß macht, ist es sicher gut, über einen Wechsel nachzudenken. Das gilt natürlich auch, wenn das bei uns der Fall wäre. Für diesen Fall wäre es toll, wenn meine Kolleg:innen dann mit mir sprechen würden. Vielleicht können wir Veränderungen finden, dass es wieder Spaß macht. Wahrscheinlich gibt es keinen Job ohne Frust und immer nur „fun, fun, fun“. Manchmal gilt ganz schwäbisch „Schaffa isch halt a Gschäft“ (frei übersetzt: Arbeit ist halt Arbeit). Aber bitte nicht strukturell und überwiegend.

Ich kann und will gar nicht dafür sorgen, dass man morgens aus dem Bett aufsteht und „Juhuuu, secuvera“ ruft. Motivation kann ich nicht schaffen, die muss schon intrinsisch sein. Mein Ziel ist es für „interne Frustfreiheit“ zu sorgen. Wenn uns interne Abläufe und Vorschriften nerven, müssen wir sie ändern. Das geht natürlich nicht, wenn wir von außen zu Dingen gezwungen werden, die wir nicht ändern können. Die meisten würden wahrscheinlich gerne zumindest auf einen Teil der Lohnsteuer verzichten, aber das liegt außerhalb meiner Möglichkeiten 😊 (dazu bin ich grundsätzlich ein Fan von Steuern).

So versuche ich zumindest zu erreichen, dass man morgens aufsteht, an die Firma denkt und nicht innerlich abwinkt oder noch schlimmer: Angst vor dem Arbeitstag hat.

Flexibilität

Die Säule Arbeit hat die Aufgabe, so flexibel wie möglich zu sein und sich den Anforderungen der anderen Säulen anzupassen. Wenn sich die Lebensumstände ändern, ändern wir gemeinsam zum Beispiel unkompliziert die Arbeitszeitmodelle. Ich versuche auf starre Vorgaben zur Tagesgestaltung zu verzichten und übergeben allen Kolleg:innen so viel Freiheit wie möglich in der Planung des Tages und der Woche. Es gibt keine Vorgaben zur Urlaubsplanung wie „pro Team müssen immer X Leute anwesend sein“. Wir haben ein Projektgeschäft und keine Produktionslinie, die immer laufen muss. Das nutzen wir als Flexibilitätsvorteil.

Wir leben „remote-Work“. Niemand muss in die Firma kommen, auch nicht für 2 Tage die Woche, um eh nur den Kolleg:innen zu begegnen, die an den beiden Tage auch immer da sind. Einzige Ausnahme ist unser Teamtag. Einmal im Monat Fokus nach innen. Wer in die Firma kommen mag, auch jeden Tag, kann das natürlich gerne machen und ist mir immer willkommen. Wir geben uns viel Mühe für eine gute Ausstattung und Wohlfühlen im Büro.

Damit Arbeit Spaß macht, muss man manchmal Inhalte verändern. Wir versuchen so gut es geht in den Geschäftsbereichen und auch übergreifend „neigungsorientiertes“ Arbeiten zu ermöglichen. Das gelingt vielleicht nicht immer, weil sich niemand im Team findet, der eine Aufgabe unbedingt machen möchte (siehe Schaffa isch a Gschäft), aber wir geben uns auch hier sehr viel Mühe.

Stress

Arbeit wirkt sich wie geschrieben auf die anderen Säulen aus. Wir versuchen, dass die positiven Auswirkungen überwiegen. Stress können wir zwar nicht vermeiden und positiven Stress wollen wir auch gar nicht vermeiden. Hausgemachten Stress versuchen wir aber zu bekämpfen. Einer der größten Stressoren ist Zeit und „zu viel zu tun“. Dagegen gehen wir strukturiert und toolgestützt vor.

Die meisten kennen es: Alle Projekte sind geplant, aber es ist immer zu wenig Zeit. Daher machen wir bei secuvera kein Projektmanagement 😱 Wir machen Zeitmanagement. Projektmanagement ist nur ein Teil davon. Wir versuchen alle Aspekte, die einem an einem Arbeitstag Zeit kosten zu planen. Also auch Dinge wie interne Besprechungen, Mails checken, etc.

Im Idealzustand sind dann 100% der Arbeitszeit verplant und man kommt mit seinen „Zeitfressern“ zurecht: Projekte, Termine, laufende Aufgaben.

Damit das gelingt, ist unser Zeitmanagement mit unserer Groupware gekoppelt, so dass ein Termin sich sofort auf die Restzeit eines Tages auswirkt. Im Tool planen wir Daueraufgaben und natürlich Projekte. Überlasten können durch jede:n sofort erkannt und Gegenmaßnahmen ergriffen werden.

Klappt die Planung nicht wie sie soll, schauen wir uns an, woran das im Einzelfall liegt und verbessern uns.

Reden

Ich will den für jede:n besten Arbeitsplatz. Aber woher soll ich das wissen? Eben. Deswegen reden wir viel miteinander. Einmal ganz übergreifend am schon angesprochenen Teamtag. Dazu in den einzelnen Geschäftsbereichen in den Jour-Fixes. Dazu gibt es ca. monatlich Einzelgespräche mit den Geschäftsbereichsleitern und den Kolleg:innen.

Damit ich Frustpunkte und negative Auswirkungen der Säule Arbeit schnell mitbekomme, habe ich mit allen Kolleg:innen auch Einzelgespräche, maximal alle zwei Wochen. Das ist viel Zeitaufwand, der sich meiner Erfahrung nach aber mehr als lohnt. Wir erkennen Probleme gemeinsam, bevor sie das Etikett „Problem“ bekommen. So kann im Bedarfsfall früh gehandelt werden.

Meine Wünsche

Letztlich wollen wir, dass unsere Arbeit Spaß macht und uns erfüllt. Wenn dies nicht der Fall ist, sollten wir offen darüber sprechen und nach Lösungen suchen. Denn nur wenn wir gemeinsam an einem Arbeitsplatz arbeiten, der uns Freude bereitet und uns in unseren Lebenszielen unterstützt, können wir ein stabiles und glückliches Leben führen.

Gestalten wir die Säule Arbeit so, dass sie unser Leben unterstützt und bereichert und nicht belastet. Nur so können wir sicherstellen, dass wir morgens aufstehen und uns auf den Tag freuen – nicht nur auf das Leben, sondern auch auf die Arbeit als wichtiger Teil des Lebens.